Sollen wir unsere Kinder erziehen? Gastbeitrag von Maria Riedesser

Sollen wir unsere Kinder erziehen? Gastbeitrag von Maria Riedesser

Elternsein ist gar (nicht so) einfach

In der heutigen Erziehung achten wir darauf, bedürfnisorientiert zu agieren. Wir haben damit aufgehört, unsere Kinder weinend einschlafen zu lassen, oder sie dazu zu zwingen, ihren Teller leer zu essen. Sondern es ist uns weitgehend bewusst, dass Kinder keine kleinen manipulativen Personen sind, die uns durch ihr Weinen oder Quengeln ärgern möchten. Und auch wenn es anstrengend ist, als stillende Mama keine zwei Minuten Zeit für sich allein zu haben, weil in den ersten Lebensmonaten der Säugling nahezu auf ihr lebt, so wird er auch in den (manchmal stundenlangen) anstrengenden Momenten, in denen er weint, von ihr oder einer nahen Bezugsperson begleitet. Dadurch lernen Kinder bereits von klein auf, dass wir sie wahrnehmen, sie lieben und sie nicht allein sind. Aber wo fängt dann „Erziehung“ an? Für mich beginnt Erziehung da, wo ich liebevoll Grenzen setze. Es gibt meiner Meinung nach bestimmte Limits, an die ich mich selber halte und von denen ich auch denke, dass diese meine Kinder tun sollten. Beispielsweise wird bei uns in der Familie nicht gehauen, gezwickt, an den Haaren gezogen, etc. weil das weh tut und für mich eine Grenze darstellt. Wenn also eines meiner Kinder solch ein Verhalten an den Tag legt, dann interveniere ich und versuche, es zukünftig zu einer Verhaltensänderung zu motivieren.

 

Aber dürfen/ sollen/ müssen wir überhaupt unsere Kinder erziehen?

Woher kommt es überhaupt, dass man sich darüber einig ist, dass Kinder bis zu einem gewissen Alter erzogen werden sollen/ dürfen/ müssen, aber bei Erwachsenen das nicht mehr üblich ist? Kann man es darauf reduzieren, dass Kinder viele Dinge einfach nicht wissen, es ihnen an Erfahrung, an Wissen, an Reife fehlt? Und dass es deswegen den weisen, reifen, und bereits fertig erzogenen Erwachsenen obliegt, ihnen die Richtung vorzugeben? Aber wenn dem so ist, wie kann es dann sein, dass wir als Erwachsene uns oftmals schlimmer als kleine Kinder verhalten (ich verweise auf die täglichen Nachrichten in der Zeitung oder im Fernsehen). Und sogar noch mehr, warum reagieren manche Erwachsene gegenüber Kindern einfach nur böse? Haben Spaß daran, ihnen militärisch Befehle zu geben oder sie zu unterdrücken?

 

Sind also die Erwachsenen die Unerzogenen, die Spaß an ihrer Machtausübung haben?

Oder würdest du, der das gerade liest, deinen Partner, einen Freund oder einen nahen Verwandten auf die gleiche Weise maßregeln wie du das bei deinem Kind tust? Stell dir doch nur einmal für einen Moment folgende Situation vor: Dein fünfjähriges Kind passt nicht auf und stößt sein Glas mit Apfelsaft um, der über den Tisch, auf den Stuhl und von dort aus auf den Boden tropft. Stöhnend verdrehst du die Augen, bist genervt, zischt vielleicht noch ein „Mensch, hättest du nicht besser aufpassen können?“ in Richtung Kind und stampfst in die Küche um einen Lappen zu holen und brummelnd die Misere aufzuputzen. Vielleicht schimpfst du dein Kind sogar oder strafst es? Und nun stellen wir uns genau dieselbe Situation mit einem erwachsenen Freund vor. Auch ihm passiert ein Malheur und der Saft wird umgeschüttet. Wäre unsere Reaktion genauso? Und wenn nein, warum denn nicht? Was ist der Unterschied zwischen einem Kind und einem Erwachsenen, wenn doch die Tat genau gleich ist? Wieso sind wir gegenüber Kindern oftmals so viel härter, strafender, „böser“ als gegenüber anderen Erwachsenen, wenn die Tat auf Sachebene doch gleich ist?

 

„Erziehung“ – was bedeutet das eigentlich?

Überhaupt ist meines Erachtens das Wort „erziehen“ doch schlichtweg irreführend, denn in welche Richtung wird denn ein Kind „gezogen“ und warum sollte man dies denn überhaupt tun? Ich zieh doch auch nicht an irgendwelchen anderen Objekten, sondern überlass es ihrer Natur, sich möglichst frei zu entwickeln. Wenn überhaupt achte ich doch am ehesten auf gute Grundvoraussetzungen, die ein möglichst problemloses Heranwachsen ermöglichen. Denn auch wie unsere näheren Verwandten, andere Säugetiere, lernen wir doch vor allem durch Nachahmung. Also wenn der Papa zuhause Wutausbrüche hat, weil er frustriert darüber ist, dass etwas nicht so funktioniert, wie er sich das vorgestellt hat, ist es doch nicht verwunderlich, dass sein Kind genau dieses Verhalten in ähnlichen Frustrationsmomenten imitiert? Ich persönlich, halte von dem ursprünglichen Gedanken meine Kinder nach meinen Vorstellungen zu erziehen, nichts mehr. Sondern es ist mir wichtig, sie auch in ihrem eigenen Charakter zu achten, von ihnen zu lernen und sie mit all ihren „Mängeln“ (in meinen Augen) anzunehmen. So hat beispielsweise meine jüngere Tochter, etwas, das man als einen „sehr starken Charakter“ bezeichnen würde. Sie weiß ganz genau, was sie möchte und versucht mit allen Mitteln immer ihren (kleinen) Kopf durchzusetzen. Ich habe mich oft gefragt, ob ich ihr das austreiben solle, sprich, ihr beizubringen, dass sie ihren Willen meistens nicht bekommt. Aber was wären davon die Konsequenzen? Soll sie nicht lernen, dass wenn sie für ihre Überzeugungen kämpft, sie am Ende gewinnt? Was wenn dies genau ihre Charaktereigenschaft ist, die später einmal dazu führt, dass sie sich gegen langjährige Missstände durchsetzt? Sollte ich dann nicht heute als Mama diesen Dickkopf akzeptieren, in Liebe annehmen und nicht versuchen, sie zu brechen, bloß weil es dann für mich einfacher wäre?

Zudem bin ich ein Vertreter der Theorie, dass Lernen am besten durch Imitation funktioniert. Bevor man also versucht, seinen Kindern durch ein Hin- und Hergeziehe einen anderen Charakter zu verpassen, sollte man vorab hinterfragen, ob man ihnen durch sein eigenes Verhalten nicht besser und leichter bestimmte Muster vorlebt.

Vielleicht konnte ich dich ein bisschen zum nachdenken anregen.... in Liebe, deine Maria

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